Der Sound des Deutschraps und Deutschlands dynamischer Hip-Hop-Szene

In einem Markt, der traditionell lokale Rapper und einheimisches Repertoire bevorzugt hat, betritt der deutsche Hip-Hop mit Hilfe von TikTok und Marketingstrategien der Labels die globale Bühne.

Der Sound des Deutschraps und Deutschlands dynamischer Hip-Hop-Szene
Philipp Kaspar
Philipp Kaspar
October 24, 20238 min read
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Deutschrap, die einheimische Bezeichnung für den deutschen Hip-Hop, hat in den letzten Jahren einen massiven Wandel durchlebt und ist zu einem wichtigen Wettbewerber auf dem globalen Musikmarkt geworden. Laut dem IFPI State of the Industry Report hält Deutschland auch 2023 den beeindruckenden Rang des viertgrößten Musikmarktes der Welt. Besonders hervorzuheben ist, dass das Land auch beim Streaming ein robustes Wachstum von über 13% verzeichnete und damit seine Fähigkeit unter Beweis stellt, sich in der sich ständig verändernden Landschaft der Musikindustrie anpassen und wachsen zu können. 

Im Herzen des deutschen Musikgeschmacks liegt eine klare Vorliebe für lokale Talente. Mehr als 60% der Musik in den Longplay-Charts und etwa die Hälfte der Single-Charts sind heimische Produktionen, wie GfK Entertainment berichtet. Diese konstante Vorliebe unterstreicht die starke Verbundenheit und kulturelle Resonanz des deutschen Publikums mit Künstlern, die ihre eigenen musikalischen Wurzeln widerspiegeln.

Zwei Genres stehen hoch im Kurs: Hip-Hop und Popmusik

Das dynamische Zusammenspiel dieser beiden Genres manifestiert sich in der unbestreitbaren Dominanz von Hip-Hop in den Charts und der dominierenden Präsenz von Pop im Bereich der Audiostreams. Anhand des Chartmetric Genre-Scores, einem Algorithmus, der die Affinität auf Basis der regionalen YouTube-, Airplay-, Spotify- und Shazam-Charts zuordnet, wird die Popularität dieser beiden Genres in Deutschland deutlich.

Im vergangenen Jahr erlebte die deutsche Musiklandschaft einen beeindruckenden Erfolg für lokale Hip-Hop-Künstler. Wie der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) berichtet, erzielten namhafte Rapper wie Luciano und der in Österreich geborene RAF Camora große Erfolge, indem sie beachtliche Streaming Zahlen erzielten und sich so an der Spitze durchsetzten. Auch das deutsche Spotify Wrapped 2022 illustriert diese Erfolge und zeigt Camora und Luciano als die meistgestreamten Künstler der Region. 

Ein genauerer Blick auf den vielfältigen deutschen Musikmarkt zeigt klare Trends auf: Die Menschen favorisieren ihre heimische Musik, Hip-Hop boomt und lokale Künstler machen weiter auf sich aufmerksam.

Das deutsche Hip-Hop-Erbe und eine neue Generation im Aufbruch

Anfangs wirkte das Rappen auf Deutsch veraltet, bis ein Mitglied von Advanced Chemistry ins Rampenlicht trat und mühelos in seiner Muttersprache rappte - der deutsche Rap hatte seine authentische Stimme gefunden.

In den 1990er Jahren entfachte dann die Stuttgarter Gruppe Die Fantastischen Vier neue Beliebtheit, welche den Kurs des Genres bestimmen sollte. Um die Jahrtausendwende begann sich der deutsche Hip-Hop langsam zu etablieren, und in einigen Städten wie Hamburg, München und Berlin wurden die musikalischen Narrative vielfältiger. Auch Battle- und Gangsta-Rap bahnten sich ihren Weg in die Herzen des Publikums, angeführt von schillernden Figuren wie Kool Savas.

Im Jahr 2001 begann mit dem Independent-Label Aggro Berlin ein neues Kapitel, das mit gezielten und ausgearbeiteten Imagekampagnen eine neue Art von Einfluss ausübte.Rapper Sido wurde mit seiner silbernen Totenkopfmaske zu einem der berüchtigtsten Vertreter dieses Imageaufbaus - ein Symbol, das seine Zeit bei dem Label voll und ganz repräsentieren sollte. Andere Aggro-Künstler wie Bushido und Fler zogen ebenfalls Einflüsse aus den Schattenseiten ihres Lebens und kombinierten härtere Themen und grafische Lyrics, um gesellschaftliche Grenzen zu verschieben. Obwohl das Label umstritten war, gelang es ihm, den deutschen Hip-Hop aus dem Underground an den Rand des Mainstreams zu bringen.

"Man muss das machen, wie das Dr. Dre mit Eminem gemacht hat: Die Beats werden poppiger, aber die Texte bleiben hart." - Specter Berlin, Mitbegründer von Aggro Berlin

Während Themen wie Chauvinismus und Gewalt die deutsche Hip-Hop-Szene über weite Strecken der 2000er Jahre prägten, positionieren sich jüngere Künstler nun entschieden gegen diese.Texte, die einst mit Sexismus, Gewalt und sogar Antisemitismus kokettierten, sehen sich nun einem zunehmenden Backlash ausgesetzt, da immer mehr Künstler dagegen Stellung beziehen. Eine davon ist Badmómzjay, deren kraftvolle Lyrics zu einer prominenten Stimme gegen Rassismus und Homophobie geworden ist. Mit über 3 Millionen monatlichen Spotify-Hörern und 800 Tausend TikTok-Followern hat sich die Authentizität ihrer Musik ausgezahlt, denn sie rangiert derzeit in den Top 200 der deutschen Künstler, basierend auf dem Chartmetric Artist Rank.

Obwohl das Genre beachtliche Fortschritte gemacht hat, bleibt die Aufgabe klar: Um eine Branche zu revolutionieren, die seit langem in systemischen Vorurteilen verwurzelt ist, braucht es mehr als nur ein paar vereinzelte Künstler. Was das Genre braucht, ist ein ganzheitlicher Wandel, der das gesamte System umfasst, einschließlich der Plattenlabels, Studios und Musikstreaming-Plattformen gleichermaßen.

Dance Music trifft auf Rap-Einflüsse: Der neue Sound des deutschen Hip-Hop

Viele der deutschen Hip-Hop Künstler lassen sich heutzutage von Dance- und elektronischer Musik beeinflussen. Schaut man sich die aktuellen Top 10 der Chartmetric-Charts für das Subgenre "Deutscher HipHop" an, so sind vor allem die Künstler Ski Aggu (Platz 2) und Bausa (Platz 8) dafür bekannt, dass sie Pop-, Rock- und elektronische Elemente in ihrem Sound vereinen. Ihre Songs haben oft eingängige Hooks und clevere deutsche Texte, die mit englischen Buzzwords gemixt sind. Die Beats sind außerdem sehr energiegeladen und upbeat, was sie ideal für Nachtclubs und Tanzflächen macht.

@andfriendsnyc

need this german dance rap crossover to make its way to the us song | nachts wach by miksu / macloud and makko #makko #raptok #germanrap #musiccurator

♬ Nachts wach (Lila Wolken Bootleg) - Miksu / Macloud & makko

Besonders einflussreich sind die Produzenten Miksu und Macloud, die in Zusammenarbeit mit Rappern wie T-Low und Makko bereits mehrere hundert Millionen Streams auf Spotify erreicht haben. Die wachsende Fusion zwischen deutschen Produzenten und Rappern erweist sich als perfekte Mischung für das heutige Gen-Z-Publikum, da sie feurige Hip-Hop-Bars mit einschlägigen Produktionen verbindet. Vor allem TikTok hat es ermöglicht, dass sich der Crossover wie ein Lauffeuer verbreitet und Fans und Künstlern einen Raum bietet, sich mit dem rasanten Wandel der Szene auseinanderzusetzen. 

“Ich kann schon sagen, dass TikTok mir sehr geholfen hat, weil sich mein Stuff dadurch wie ein Lauffeuer verbreitet hat. Sollten sich Artists aber dazu entscheiden, die Plattform zu nutzen, finde ich es wichtig, dass sie ihren eigenen Weg dort finden und nicht auf Krampf Videos machen.” - Ski Aggu, Rapper.

Der Einfluss von Major- und Independent-Labels

In einer Musiklandschaft, in der einheimische Hörer lokales Repertoire bevorzugen, kann die Struktur der deutschen Recording Industrie durch die Analyse regionaler Talente analysiert werden. RAF Camora (Believe Music), Luciano (Universal) und Apache 207 (Sony) haben beispielsweise eine sehr ähnliche Hörerschaft in den belebten urbanen Zentren München, Berlin und Hamburg. Angesichts solch ähnlicher Zahlen zeigt sich, dass sowohl Indie- als auch Major-Labels als Garant für den Durchbruch von Künstlern in diesem Genre innerhalb der Grenzen Deutschlands dienen können.

Independent Label Believe Music machte bereits in 2022 Schlagzeilen und ist laut Daten des Marktforschungsunternehmens GfK im selben Jahr zum drittgrößten Label in Deutschland aufgestiegen. Diese Platzierung unterstreicht den Einfluss von Believe auf die lokale Musikszene, in der die Branchenriesen Universal Music und Sony Music in der Vergangenheit den Ton angegeben haben.

Der Einfluss von Believe erstreckt sich auch auf die pulsierende Welt des deutschen Hip-Hop, wo das Unternehmen seine Position als zweitgrößter Akteur behauptet. Dieser Erfolg spricht für das Verständnis von Believe für die hiesige Musiklandschaft, seine Beziehungen zu den Künstlern und sein Engagement für die Förderung von Talenten in diesem Genre. Das Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, Künstlern und Labels ein umfassendes Spektrum an Dienstleistungen zu bieten, das verschiedene Karrierephasen und Genres abdeckt.

Dies umfasst sowohl DIY-Vertriebe wie Tunecore als auch Partnerschaften mit Vertriebs- und Künstlerservice-Marken wie Rough Trade und Groove Attack. Darüber hinaus bietet Believe klassische digitale Musikdistribution an und unterstützt individuelle Label Marken wie Nuclear Blast und AFM.

"Es war faszinierend zu sehen, wie sich dieses Jahr entwickelt hat, und ich bin begeistert, dass es sich als ein solcher Meilenstein für Believe in Deutschland erwiesen hat. Wir sind zuversichtlich, dass wir auf dem diesjährigen Meilenstein weiter aufbauen können. Für uns war es noch nie so wichtig wie heute, unsere lokalen Labels und Künstler in allen Phasen ihrer Karriere zu unterstützen, damit sie von ihrer Kunst leben können und so zu einem gerechteren und nachhaltigeren Musik-Ökosystem beitragen." – Thorsten Freese, Managing Director, Believe Germany

Auf der Seite der Major-Labels wurde 2021 mit der Gründung von Atlantic Records Germany, einem Ableger von Warner Music, ein neues Kapitel eingeleitet. Eingebettet in das kreative Umfeld von Berlin-Kreuzberg, fokussiert sich das Label darauf, die Stimmen des deutschen Hip-Hop zu fördern und gleichzeitig den Undergroundströmungen Raum für Wachstum zu geben. Als Hip-Hop die Führung im deutschen Streaming-Markt übernahm, festigte Atlantic seinen Platz auf dem Markt durch das Signing von Yung Hurn, einem der einflussreichsten deutschsprachigen Künstler der letzten Jahre.

Warner Chappell, der Publishing-Arm von Warner, hat ebenfalls seinen Aufstieg deutlich gemacht. Im Jahr 2021 beanspruchte das Unternehmen einen Marktanteil von 33,64% am lokalen Repertoire und vergrößerte seinen Einfluss durch strategische Investitionen in die pulsierende Welt des deutschen Hip-Hop.

Sowohl Major- als auch Independent-Labels erkennen das Potenzial des deutschen Musikmarktes, insbesondere der wachsenden Hip-Hop-Szene. "Wir wollen, dass dieses Label ein Ort für kulturell relevante Künstler ist und eher eine Indie- und Start-up-Mentalität hat, als der typische Major-Label-Ansatz." – Doreen Schimk, co-President of Warner Music Central Europe

Durch Kooperationen und Investitionen reihen sie sich in die Riege derjenigen ein, die den lokal geprägten deutschen Musikmarkt ausbauen - ein vielversprechendes Zeichen in der sich weiterentwickelnden Musiklandschaft.

Durchbruch in den deutschen Hip-Hop-Markt und der Weg darüber hinaus

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Künstler aus verschiedenen Ländern kollaborieren und gegenseitig Songs featuren, um ihre Reichweite zu erhöhen, Genres zu mixen oder einfach ihren kreativen Output zu steigern. Aber wie sieht das für den deutschen Musikmarkt aus? Wie sollten internationale Künstler versuchen, in einer so eng verbundenen Region Fuß zu fassen, und wie können auch deutsche Künstler über die Landes- und Sprachgrenzen hinaus erfolgreich sein?

Der aus Berlin stammende Luciano ist einer der Rapper, die es geschafft haben, auf globaler Ebene erfolgreich zu sein. Der Sohn eines mosambikanischen Vaters und einer deutschen Mutter erlangte 2020 mit seiner deutschsprachigen Adaption von UK Drill über die Grenzen Deutschlands hinaus Bekanntheit. Nach erster Beliebtheit legte Luciano dann weiter nach, indem er mit der amerikanischen Rapperin BIA und dem britischen Rap-Star Aitch an seinem Original-Track "Bamba" zusammenarbeitete. Weitere Features mit internationalen Musikgrößen wie Central Cee und Offset steigerten seine globale Anziehungskraft und sorgten für großen Support auf Spotify und anderen Streaming-Plattformen.

Doch Luciano ist nicht der einzige Künstler, der aus den Cross-Collaborations Vorteile zieht. Sowohl BIA als auch Offset haben von der Zusammenarbeit mit dem gebürtigen Berliner profitiert und Deutschland als zweitgrößtes Land in Bezug auf ihre monatlichen Spotify-Hörerzahlen etabliert. Auch wenn die Vereinigten Staaten als Hörerschaft für Luciano noch weit abgeschlagen sind, könnte das Geheimnis in der deutschen Musiklandschaft Fuß zu fassen darin liegen, ein oder zwei Zeilen zu “sharen”. 

Wie effektiv diese internationalen Kollaborationen sein können, wird auch deutlich, wenn man sein Publikum mit anderen deutschen Hip-Hop-Schwergewichten wie Apache207 und RAF Camora vergleicht, die zwar in Deutschland starke Präsenz zeigen, aber im nicht-deutschsprachigen Raum weniger effektiv mithalten können.

Von einer schwierigen Geschichte bis hin zu seiner gegenwärtigen Renaissance hat der deutsche Hip-Hop eine transformative Reise hinter sich. Eine Reise, die eine neue Generation von Künstlern hervorgebracht hat, welche sich der Gestaltung der zukünftigen Entwicklung des Genres verschrieben haben. Während sich die Branche dynamisch verändert, werden Kollaborationen innerhalb und außerhalb der deutschen Grenzen zu einem zentralen Instrument für Künstler, die ihre Reichweite vergrößern und einen bleibenden Eindruck in dieser boomenden Musiklandschaft hinterlassen wollen.


Grafiken von Sarah Kloboves und Titelbild von Crasianne Tirado; Stand der Daten: 4. Oktober 2023